Und jetzt kuratieren wir noch Hosen

 

Zufällig sind es zwei Deutschsprachige, die global von sich reden machen und den Beruf des Kurators bis in die Sonntagsbeilagen der Provinz getragen haben. Hans-Ulrich Obrist, der mehr Zeit in der Luft als auf dem Boden zu verbringen scheint, dem kein Thema zu groß ist, um es nicht mit der Kunst kurzzuschließen, der große Kommunikator. Und Klaus Biesenbach, unser Mann in New York mit seinen tausend besten Freunden aus allen Sparten, der unermüdliche Promoter von was? Von zeitgenössischer Kunst, diesem Erfolgsmodell kultureller Attraktivität? Der Blick auf solch schillernde Personen lenkt davon ab, dass der Kurator als Leitfigur seit einiger Zeit ins Gerede gekommen ist. Kuratorenbashing scheint die andere Seite des Erfolgs zu sein. Nicht immer geht es dabei so charmant stichelnd zu wie in einem Film der Künstlerin Bethan Huws: „Kuratoren sind für Künstler, was Tanten für ihre Nichten sind (weiter entfernte Verwandte): Sie schenken dir zu Weihnachten und an deinen Geburtstagen immer das, was du nicht wirklich willst.“

 

Als international gängige Vokabel hat das Wort in den Achtzigern den hierzulande etwas bemüht aktionistischen „Ausstellungsmacher“ abgelöst. Damals etablierten sich auch die ersten Kuratorenschulen für zeitgenössische Kunst. Ihre Absolventen lernten die laufenden Theorien, tauschen neue Künstlernamen aus, übten Strategie und PR des Ausstellungswesens und wurden zu Netzwerkern der Szene im globalen Maßstab. Die Entdeckung und Verbreitung des Neuen war bis in die Siebziger hinein noch die Sache weniger, ihrem eigenen Gefühl und ihrer eigenen Erfahrung trauender Überzeugungstäter, die mitunter auf verschlungenen Wegen zur zeitgenössischen Kunst genommen waren (man denke etwa an Johannes Cladders oder Harald Szeemann). Nun setzte eine durchgängige Professionalisierung ein. Der zunehmenden Beachtung der zeitgenössischen Kunst und der Sichtbarkeit ihrer Impressarios folgte schließlich die Kritik an ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Macht. Analog zum Vorwurf des Regietheaters gerieten Kuratoren seit den Neunzigern häufig unter Verdacht, thesen-, stimmungs- oder auch nur kommerziell getriebene Manipulatoren oder gar Usurpatoren von Kunst und Künstlern zu sein. Das maliziöse Wort vom „Kuratoriat“ machte die Runde. Die sich global rasant vermehrenden Biennalen wurden die bevorzugten Spielwiesen des Kuratorenstammes. Gleichzeitig haben sie einen eigenen, höchst flexiblen Kunststil provoziert, den „Biennalen-Konzeptualismus“ – theoretisch abgesichert, kontextbezogen und kritisch sowieso. Die Maschine dieses Wanderbetriebs ist gut geölt, Künstler und Kuratoren ziehen gemeinsam umher, man profitiert voneinander. Anders als in den Siebzigern gibt es gegen die drohende Verwertung und Unterordnung von künstlerischer Energie und Eigenwilligkeit in den Kunstevents kaum hörbaren Protest. Von geballten Fäusten in Taschen erfährt man nur dann und wann zu später Stunde. Oder auf jenen gar nicht so seltenen, aber häufig etwas hermetischen Symposien einer kritischen und meist freiberuflichen Kuratorenschaft, die seit langem die eigene Rolle reflektiert. „Thank God I Am Not a Curator“ hieß eines von ihnen.

 

In den letzten zehn Jahren hat das Kuratieren jedoch noch sehr viel weitere Kreise gezogen. Nicht nur in den anderen Künsten tauchen Kuratoren auf. Auch sonstwo gibt man gerne vor, kraft seiner Kenntnisse und seines Geschmacks die Fülle aller möglichen Waren oder Informationen für das Publikum „kuratiert“ zu haben. Versprochen wird eine bessere Orientierung in der Unübersichtlichkeit der Angebote, vor allem aber auch Distinktion nach dem Motto „Also wir kaufen ja nur bei dem und dem, Sie wissen schon.“ Kuratiert werden mittlerweile Oberbekleidung oder Nahrungsmittel ebenso wie Internet-Informationen. Und wahrscheinlich gibt es auch schon irgendwo einen Pfarrer, der etwas aus den Psalmen „kuratiert“. Dieses sprachliche und soziologische Phänomen hat mittlerweile die Feuilletons erreicht, und in den USA ist auch schon ein Buch zum Thema erschienen, das bereits im Titel den nennt, um den es geht, nämlich den Konsumenten. Der Kurator als Zeiterscheinung ist also in aller Munde. Ein Anzeichen von Stärke oder von Schwäche?

 

Aber zurück zum Kunstfeld. Was hat sich außer dem Wort eigentlich geändert und wie verhält sich zeitgenössisches Kuratieren zu anderen Methoden des Unterscheidens, des Ordnens und des Wählens wie etwa der Kunstkritik? Gegen alle zeitgeistige Beliebigkeit des Begriffs sollte man zuerst einmal festhalten, dass hinter ihm eine achtenswerte, ja, notwendige Haltung steht. Sich einer Sache mit Hingabe, Wissen und Ausdauer zuwenden, sich um sie sorgen und sie pflegen (von lateinisch „cura“) kann bei einer so fragilen Angelegenheit wie der Kunst nicht falsch sein. Und wenn man noch die etymologisch zweifelhafte, aber charmante Verbindung zum südamerikanischen Pfeilgift Curare hinzunimmt, ergibt sich ein ziemlich passendes Ethos für den verstehenden und vermittelnden Umgang gerade mit der Kunst der Moderne, der Avantgarde. Er ist von Respekt, Nähe, Solidarität und in diesem Rahmen auch von Kritik, ebenso wie von Genauigkeit und kultureller Nachhaltigkeit geprägt. In diesem Sinne ist der Kurator gleichzeitig in das aktuelle Geschehen – pathetisch ausgedrückt in das Entstehen von Kunst – und in die mögliche Fortdauer der Werke und Ideen, also in Geschichte involviert. Er liefert eben nicht nur schnell sich verbrauchende Informationen und Stimmungen, sondern arbeitet an künstlerischer Standortbestimmung, an der Einbettung von Einzelerscheinungen in kulturelle Zusammenhänge. Dass hierfür ein Bewusstsein und ein Wissen nötig sind, die über die Kurzzeitzyklen des Marktes tiefer in die Vergangenheit reichen, liegt auf der Hand.

 

Man muss sich aber fragen, was mit solch einem Konzept in einer Zeit nach den Avantgarden geschieht, in der auch die zeitgenössische Kunst zu einem Teil der Kulturindustrie geworden ist. Wenn Kunstinteressierte als Konsumenten wahrgenommen werden und sich ihre Zahl wie die der Künstler, Werke und Veranstaltungen rasch vermehrt, scheint das Kurartieren zumindest tendenziell seine Blickrichtung zu ändern: von der Konzentration auf die Kunst hin zu deren Verteilung. Der Kurator wählt immer noch aus, aber sozusagen als Vorkoster eines Publikums, das die gesamte Palette der Speisen nicht mehr selbst verdauen kann. Dabei muss er sich im Konkurrenzkampf unter seinesgleichen behaupten, indem er ständig neue Künstler, originelle Themen und Thesen vorstellt. Gleichzeitig werden die Unterschiede zwischen einzelnen Kategorien verwischt. Dass, wie vor Längerem schon zu hören, Kunstmärkte die besseren Gruppenausstellungen seien, war nicht nur polemisch gemeint. Und die einst getrennten Sphären von öffentlich legitimierter Kunstvermittlung und Kommerz werden von manchen mit Leichtigkeit verknüpft. Interessenskonflikt ein Wort von gestern?

 

Kuratieren gleicht unter den gegenwärtigen Verhältnissen oft einem Arrangieren mit der Tendenz zur beinahe globalen Assimilation. Verblüffend, wie sich oft Ausstellungen an ganz unterschiedlichen Orten oder Konzepte von Kuratoren mit ganz verschiedenen kulturellen Hintergründen ähneln. Wer unter dem Druck von Novität, Produktion und Kundenerwartung arrangieren muss, wird nolens volens kaum die Zeit und die Veranlassung haben, die Kriterien seiner Wahl intensiv zu reflektieren und gar darzulegen. Der Künstler Tino Sehgal sprach einmal von einer Kuratorengeneration, die in allen möglichen Wüsten, Urwäldern und Megacitys auf der Suche nach unverbrauchten Künstlern jeden Stein umdrehen. Danach geht es mehr um das Auflesen und das Anschließen an geläufige, aber noch frische Kunstthemen als um die kontinuierliche Arbeit mit bestimmten und besonderen Positionen. An die Stelle der Kritik, die versucht, das Für und Wider eines Kunstwerks oder einer künstlerischen Idee im Kontext abzuwägen, um so zu einer Auswahl zu gelangen, tritt immer häufiger die bloße Geste einer Wahl. Der Kurator befindet sich dabei in einer doppelten Falle: Das Publikum verlangt von ihm die Rolle des „Gurus“, der weiß, was wichtig ist. Und außerdem ist das Ausstellen von Kunstwerken per se eine positive Demonstration; sie ist nur schwer zu umgehen, ohne die Kunst zu desavouieren. Aus der Sorge um einzelne Künstler und ihre Werke, aus ihrer Pflege über den Tag hinaus ist ein mitunter selbstgenügsamer Kreislauf der stets neuen, stets gleichen Bedürfnisbefriedigung geworden. Eine unabhängige Kunstkritik und eine fundierte Kritik an Ausstellungen haben da als Regulative einen schweren Stand – wenn sie überhaupt stattfinden und sich nicht einfach dem großen Zug anschließen.

 

Nun bringt es aber nichts, in kulturkritischer Manier das Kind mit dem Bade auszuschütten. Zum einen gibt es sie ja noch, die mit Aufmerksamkeit für die Details ebenso wie für die großen Zusammenhänge kuratierten Ausstellungen, die ihr Medium mit Blick auf einen interessierten und emanzipierten Besucher ernst nehmen und attraktiv machen. Im letzten Jahr war das z. B. eine Ausstellung über die zeitgenössische Kunst Mitteleuropas, vielleicht bezeichnender Weise kuratiert von einem Künstler, nämlich dem Maler Luc Tuymans. Zum anderen macht gerade in globaler Perspektive eine Hoffnung nachdenklich, die von unerwarteter Seite schon 1998 formuliert wurde. Der Soziologe Zygmunt Bauman („Die Moderne und der Holocaust“) sieht den Kurator „in vorderster Linie einer großen Auseinandersetzung um den Sinn unter den Bedingungen der Unsicherheit und der Abwesenheit einer einzigen, universell akzeptierten Autorität.“ Und das gerade auf Grund seiner Fähigkeiten, Verbindungen herzustellen – zwischen Objekten ebenso wie zwischen Menschen. Der Kurator ist demnach jemand, der „Kontinente von Affinitäten“ erforscht und der „experimentellen Poesie des Dazugehörens“ auf der Spur ist, wie es die indische Kuratorin und Theoretikerin Nancy Adajanina vor kurzen beschrieb. Eine neue, eine kritische, eine globale Art der Pflege. Es lebe der curator!

 

(Published in: DIE WELT, August 18, 2011, p. 22)